Stephan Dorgerloh (SPD) ist das Szenario schon gewohnt. Er tourt durchs Land, um mit Lehrern in Kontakt zu kommen und über Probleme zu reden. Am Dienstagabend stellte sich der Kultusminister des Landes in Bernburg auf Einladung des SPD-Ortsvereins und -Kreisverbandes einem Thema, das die Lehrer bewegt: die geplante Integration von behinderten Kindern in Grund- und Sekundarschulen, die sogenannte Inklusion.
Auch wenn er durch die Vollsperrung der A 14 eine Stunde zu spät kam, harrten 20 Lehrerinnen und Lehrer aus Bernburg, Güsten, Egeln und Staßfurt aus, um über ihre Sorgen zu berichten. Der Unterricht an den Einrichtungen, in denen Kinder mit Behinderungen, Lernschwächen, aber auch verhaltensauffällige Kinder in den Schulalltag integriert werden, bewegte vor allem Grundschullehrerinnen, die die Mehrzahl der Gäste stellten. Sie machten deutlich, woran es derzeit mangelt. Es fehle an Vielem, um den Schülern, die mehr Zuwendung bedürfen, die gleichen Chancen einzuräumen, so der Tenor.
Hilferuf der Lehrer
Aus Güsten kam so etwas wie ein Hilferuf, dass es räumlich und personell Probleme gebe. Nicht nur Kindern, die mit Lern- oder Sprachprobleme kämpfen, hätten den Anspruch auf gute Bildung, sondern auch die anderen Kinder.
Eine Bernburger Grundschullehrerin brachte es noch drastischer zum Ausdruck: “Wenn ich ein Kind haben, das den Unterricht permanent stört, dann habe ich keine Möglichkeit, es in eine andere Räumlichkeit zu bringen, oder es jemandem anzuvertrauen. Jede Kollegin oder Kollege hat selbst genug zu tun.” Es sei schwierig, täglich den Spagat zu machen, Schüler leistungsgerecht zu unterrichten, wenn die Leistungen weit auseinanderklaffen. “Das geht zu Lasten der Gesundheit”, machte die erfahrene Lehrerin klar. “Das führt zu Frust, und der macht krank. Wir brauchen mehr Unterstützung”, fügte sie hinzu.
“Sie müssen mich nicht programmieren”, entgegnete Dorgerloh. Er sehe die Brennpunkte, machte aber deutlich, dass es seine Zeit brauche, ehe man dort ist, wo man hinwolle. Er habe durchgesetzt, dass im Land fünf Schulpsychologen zusätzlich eingestellt werden, um die langen Wartezeiten zu verkürzen, die Eltern in Kauf nehmen müssen, wenn sie Hilfe und Beratung brauchen. Das gehe nicht an jeder Schule, doch ein wenig Druck nehme es. Wichtig sei es, pädagogische Mitarbeiter zu gewinnen, die sich auch mal einzeln mit den Schülern, die Schwächen aufweisen oder verhaltensauffällig sind, beschäftigen. Kinder mit Lerndefiziten, Sprachproblemen oder sozial-emotionalen Störungen bräuchten mehr Aufmerksamkeit. Und nicht nur das. Man benötige dazu auch eine Qualifikation, die die Pädagogen an den Lernbehindertenschulen haben. Doch diese kämen nicht automatisch mit an die Grundschulen, wenn die Zahl der Kinder mit erhöhtem Förderbedarf an diesen Einrichtungen steigt. Derzeit liegt sie im Land bei 20,6 Prozent.
Effektive Weiterbildung
Was man machen könne, werde veranlasst, versprach der Minister. Zum einen sei das die Sanierung und die bessere Ausstattung der Gebäude. Bis 2020 soll jede Schule im Land über das Förderprogramm Stark III modernisiert sein. Das bedeute aber auch, dass es Schulen gibt, die noch acht Jahre mit den jetzigen Bedingungen leben müssen. Eine andere Sache sei die Weiterbildung von Lehrern. Sie sei wichtig und müsse optimiert werden. Es gebe Kurse, die seien überfüllt, so der Minister, andere würden abgesagt, weil Teilnehmer fehlten. Hier müsse man klären, warum das so ist.
Kritik an Leistungsbewertung
Dorgerloh sagte zu, darauf zu setzen, dass die Meinungen und Erfahrungen der Lehrer mehr in die Meinungsbildung der Politik einfließen. Leider scheint das nicht immer zu klappen. Denn im Zusammenhang mit der Inklusion kam auch die Bewertung der Schüler ab Klasse 3 zur Sprache. “Ich bin gerade zu einer Weiterbildung. Von allen Experten, die dort auftreten, wird gesagt, die Benotung ist Gift für die Inklusion”, sagte eine Grundschullehrerin aus Güsten. Es würden doch ohnehin wörtliche Leistungsbewertungen abgegeben. Das mache Sinn und gebe Hinweise auf die Entwicklung des Kindes. Die Bewertung durch Noten sei indes nicht förderlich.
Er gehe da mit und wolle die Benotung auch nicht haben, antwortete der Minister. Er würde eher mehr Verantwortung in die Hände der Lehrer legen. Doch ausgerechnet von den Lehrerverbänden habe es diesbezüglich Gegenwind gegeben. Sie wollten die Leistungsbewertung ab Klasse 3 mit Noten. Allerdings habe er schon einige Dinge im Gesetz entschärft. So waren ursprünglich vier Klassenarbeiten als Pflicht vorgesehen. Er habe jetzt durchgesetzt, dass es mindestens zwei seien. Der Rest müsse in der Verantwortung der einzelnen Schulen liegen
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung